Phantom-Musiker in der Christuskirche (1995-1999),
Oft kommt es vor, dass einzelne Musiker, Orchester oder Chöre in unserer Gemeinde anfragen, ob sie unsere Räume für ihre Proben nutzen können. Auch immer Sommer 1995 klingelte es wieder einmal an meiner Haustür. Elena Pankratova, Mitwirkende im Ensemble vom ‚Phantom der Oper‘ hatte durch das Fenster des Gemeindesaals den Flügel gesehen und fragte an, ob sie das Instrument samt Gemeindesaal für Probezwecke nutzen könne.
Meine erste Antwort war wie immer, denn der Raumbelegungsplan war schon immer gut gefüllt, ein Nein. Am nächsten Tag nahm ich jedoch mit einer Idee im Gepäck noch einmal Kontakt zur Künstlerin auf. Ich fragte, ob sie sich vorstellen könne, mit ein paar Kollegen*innen ein Benefiz-Konzert in unserer Kirche zu geben. Begeistert nahm die Sopranistin die Idee auf.
Mit Gemeindeleiter Harald Frey stimmte ich die Idee ab. In der nächsten Vorstandssitzung mussten wir, die Planungen mit den Phantom-Musikern liefen bereits auf Hochtouren, jedoch zurückrudern. Für etliche Vorstandsmitglieder war es einfach nicht denkbar, dass Musiker aus der Neuen Flora in der Christuskirche auftreten. Im Rahmen der nächsten Vorstandssitzung schlugen die Ältesten dem Vorstand vor, dass die Musiker ausschließlich geistliche Musik präsentieren würden.
Dem Vorschlag wurde zugestimmt und so fand am 13.November 1995 ein ‚Phantom-Konzert‘ statt, welches das erste von insgesamt über 20 Konzerten sein sollte. Noch während des Applauses der etwa 600 Besucher*innen, fragte Elena Pankratova mit einem glücklichen Lächeln: ‚Meinen sie, dass wir das noch einmal machen können?‘.
In den vier Jahren bis zu meinem Umzug nach Oldenburg hat die Gemeinde insgesamt 20 Konzerte mit den ‚Musikern von nebenan‘ veranstaltet. Und nein, es wurden die ganzen Jahre nicht nur geistliche Lieder vorgetragen. Mozart- und Puccini-Abende, Opern – und Musical-Abende, sogar ein Abend über das ‚Böse in der Musik‘ und natürlich auch Abende ausschließlich mit Liebesliedern standen auf dem Programm.
Für mich sind viele dieser Abende unvergesslich. Von anderen Leuten wurde ich auch schon an den Abend erinnert, an dem ich befürchtete, dass ich mir jetzt wohl eine andere Arbeitsstelle suchen müsse. Laurie Ann McGauwen kam zu Klavierklängen in knappem knallrotem Kleid aus dem Taufbecken ans Mikrofon. Das war zu viel. Als sie sich dann auch noch langsam aber sicher erst auf den Flügel setzte und sich dann auf ihn legte, um das Lied ‚I love my piano‘ zu singen, hielt nicht nur ich den Atem an. Das war eindeutig zu viel! Darüber war ich bei den Vorbereitungen nicht informiert worden. Eine spontane Zwischenmoderation und das vertraute und wohlwollende Miteinander der Gemeinde mit den Künstlern, das sich bis dahin bereits über zwei Jahre entwickelt hatte, sorgten jedoch dafür, dass die Szene keinen negativen Nachhall fand.
Die Vorbereitung und Durchführung der Konzerte waren vier Jahre lang fester Bestandteil meines Arbeitsalltags. Zu den inhaltlichen Besprechungen und den Proben trafen wir uns regelmäßig in der Neuen Flora oder in unserer Kirche. Nachdem die Musiker*innen Thema und Stücke für den jeweiligen Konzertabend festgelegt hatten, ging ich in die Hamburger Musikbibliothek, um Material für möglichst sinnige Moderationen für die Stücke zu finden. Nicht selten lächelte Elena Pankratova freundlich zu meinen eigenen Vorbereitungen, um mir dann kenntnis- und detailreich die passenden Informationen aus ihrem eigenen reichen Wissen mitzuteilen.
Wichtig war mir an allen Abenden, hin und wieder eine Verbindung zum Evangelium aufleuchten zu lassen, ohne dabei die Künstler oder die Musikstücke für christliche Zwecke zu instrumentalisieren. Hinter den guten Zweck der Benefizkonzerte konnten sich Gemeinde, Künstler und Besucher vollen Herzens stellen: Beim ersten Konzert sammelten wir für das NDR-Projekt ‚Hilfe für Flüchtlinge aus Bosnien‘, bei allen weiteren für das EBF-Projekt ‚Kinder in Not – Hilfe für Tschernobyl‘.
Natürlich freute die Gemeinde sich – und auch ich mich- riesig, als beim 20., für mich letzten Konzert am 21.Juni 1999, die 100 000-Mark-Marke an Spenden überschritten wurde. Zu diesem Ergebnis hatte auch die Herstellung einer CD im Sommer 1996 beigetragen. Diese Produktion war besonders: Eine Woche lang trafen wir uns mit den Musikern ab 2 Uhr nachts in der Kirche, um die Aufnahmen zu machen. Um die Uhrzeit konnten wir uns sicher sein, dass nur die Musik von Mozart bis Gershwin, ohne störende Nebengeräusche der nahegelegenen S-Bahn auf dem Tonträger zu hören waren.
Hin und wieder ging ich samstagabends nach der Vorstellung vom ‚Phantom‘ in die Kantine der Neuen Fora und fragte, wer denn morgen im Gottesdienst musizieren könne. Jedes Mal sagten Musiker*innen zu. Jedoch auch jedes Mal mit dem Hinweis auf den ‚für Künstler unmenschlich frühen‘ 10:00 Uhr-Termin des Gottesdienstes.
Ab dem Jahr 2000 organisierten Henrike Frey, Dietmar Molthagen und Julia Schmodde noch vier weitere Konzerte mit den Phantom-Musikern.
Die freundschaftlichen Kontakte zu Elena Pankratova und ihrem Ehemann Vitalij Zapryagaev sind bis heute geblieben. Elena Pankratova lebte lange Jahre in Frankfurt, um von dort aus in Opernhäusern rund um die Welt aufzutreten. Seit 2015 lebt sie in Österreich. Sie bekleidet dort eine Professur für Gesang an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz.