Das war das Jubiläum! Berichte
Sonntag, 21.November 2021: Festgottesdienst
Die ersten Töne, die im Festgottesdienst anlässlich des 150.Jubiläums der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Hamburg-Altona, zu hören waren, kamen der versammelten Gemeinde (85 Personen) und denjenigen, die den knapp zweistündigen Gottesdienst per Livestream miterlebten (ca.70 zugeschaltete Geräte ), von Orgel und Trompete entgegen: ‚Wachet auf, ruft uns die Stimme‘ von J.S.Bach. Und auch die ersten Worte, die Hedrikje Keßler, die durch den Gottesdienst leitete, sprach, lauteten ‚Wachet auf!‘.
Aufrüttelnde Töne und Worte zu Beginn eines Festgottesdienstes? Töne und Worte machten deutlich, dass das Feiern eines Festgottesdienstes nicht dazu dienen darf, dass man sich womöglich selbstgefällig zurücklehnt, um das Erreichte oder Erlebte einfach nur Revue passieren zu lassen oder um sich im Glanz des Vergangenen zu sonnen. Dass dies die Altonaer Gemeinde im Rahmen ihrer Feierlichkeiten getan hätte, kann man ihr nun wirklich nicht vorhalten. Die am ersten Abend der Feierlichkeiten auch schmerzhafte Auseinandersetzung mit dunklen Kapiteln der Gemeindegeschichte (siehe Bericht) belegte dies eindrücklich.
Auf- und wachgerüttelt werden muss Gemeinde jedoch immer – auch in Festgottesdiensten.
Die Verkündigerin des Tages, Prof. Dr. Andrea Strübind aus Oldenburg, tat dies dann auch auf feine und zugleich deutliche Weise, indem sie das Motto der Festwoche ‚Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.‘ (D.Bonhoeffer) mit den Worten Jesu vom Weltgericht (Mt.25) in Verbindung brachte. Zunächst erläuterte Andrea Strübind den Kontext des Bonhoeffer-Zitats, um dann auch zu fragen, ob eine Kirche, die dauernd aktiv für andere da ist, nicht auch in der Gefahr stehe, sich in Dauertätigkeit, in Projekten, Planungen und Konzepten und damit auch in sich langsam einschleichende Werkgerechtigkeit zu verlieren. Kirche, so Andrea Strübind, müsse auch immer aus der Kontemplation, aus der Begegnung mit Gott kommen, um sich nicht in Aktionismus zu verlieren und um das Wesentliche des Glaubens, die Begegnung mit Gott, für Menschen zu ermöglichen.
In ihrer Predigt wies Andrea Strübind die Gemeinde neu zu den Menschen als Ort der Gegenwart Jesu hin, über die Jesus in seinen Worten gesagt hat: ‚Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!‘.
Nach Bibelwort und Begrüßung hatten zu Anfang des Gottesdienstes Kinder aus der Kinderkirche die Gestaltung des Festgottesdienstes übernommen. Sie hatten einen Quiz über Gemeinde und Kirchengebäude vorbereitet. Dass Kinder im Gottesdienst nicht nur ‚Objekt einer Kinderbespaßung im gottesdienstlichen Rahmen‘ sind, wurde gleich zu Beginn an der Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, mit der sich die Kinder einbrachten, deutlich.
In dem unter 2G-Regeln veranstalteten Gottesdienst wurde auch viel gesungen. Bei der Liedauswahl überwog der Dank gegenüber Gott, der durch Lieder unterschiedlicher Stilrichtungen zum Ausdruck gebracht wurde. Einen gemischten Chor gibt es in der Christuskirche seit einigen Jahren nicht mehr. Umso mehr erfreute ein kleiner ‚Spontanchor‘, der moderne Literatur vortrug und gegen Ende des Gottesdiensts die Gemeinde auch noch bei einem Lied begleitete, das insbesondere ältere Gottesdienstbesucher:Innen gerne mitsangen: ‚Wie ein Strom von oben‘.
Die Ältesten der Gemeinde, Stefan Hoyer, Reinhard Lüdecke und Wolfgang Pfeiffer, lasen im Laufe des Gottesdienstes Psalmen im Wechsel mit der Gemeinde und die Pastoren Qorban Sultani und Carsten Hokema stellten der Gemeinde eine junge Frau vor, die am 4.Advent gemeinsam mit etlichen anderen Frauen und Männern in der Gemeinde getauft werden wird. Für viele der Anwesenden war das vorgetragene und von Qorban Sultani übersetzte Taufzeugnis ebenso wie das persönliche
Zeugnis eines Gemeindemitglieds, welches seit 70 Jahren zur Gemeinde gehört, weitere berührende Momente im Gottesdienst.
Nach dem Gottesdienst folgten vier kurze Grußworte: Das Diakoniewerk Tabea und das Jesus Center, deren Entstehungsgeschichte jeweils eng mit der Gemeinde verbunden ist, sowie die Amazing Grace Baptist Church, die als Gemeindegründungsprojekt des BEFG in der Gemeinde ihr Zuhause hat, kamen durch ihre Vertreter zu Wort. Per Video wurde das Grußwort des BEFG gezeigt, welches nicht nur durch sein Setting (aus einer Turnhalle in Berlin) aus dem Rahmen fiel.
Nach dem Gottesdienst traf die Gemeinde sich zum gemeinsamen Mittagessen im Gemeindesaal der Christuskirche. Als sich die Feierlichkeiten gegen 15:00 Uhr dem Ende entgegen neigten, füllte sich die Kirche bereits wieder von neuem mit Geschwistern, die einen weiteren Gottesdienst gemeinsam mit Qorban Sultani feierten.
Glücklich und dankbar machten sich viele der Freunde, Gemeindemitglieder und Gäste der Gemeinde auf den Weg in ihren Alltag, um dort ‚Kirche für andere‘ zu sein.
Samstag, 20.November 2021: ‚Altona rockt‘ – ein Abend rund um die Musik
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150.Jubiläum der Gemeinde Hamburg-Altona gehörte ein Abend rund um das Thema Musik unbedingt zum Programm! Denn Gemeinde ohne Musik zur Ehre Gottes ist nicht vorstellbar. Der Titel des Abends – ‚Altona rockt!- hätte jedoch, wenn man sich nicht näher informierte, zu Missverständnissen führen können.
Zu hören war im Laufe des Abends keineswegs nur Rockmusik. Von Klassik über Liedermachertöne bis hin zu Rock- und Lobpreismusik war alles vertreten.
Nach einer kurzen Begrüßung durch einen der Pastoren der Gemeinde, der den erkrankten Robin Zabel, der seit Jahrzehnten selbst Musik in der Christuskirche macht, vertrat, spielten die Brüder Björn und Arne Philipp zum Auftakt das Lobpreislied ‚Schmecket und sehet‘. Die Philipps sorgen seit 2019 regelmäßig gemeinsam mit Robin Zabel und anderen Musiker:Innen für die Musik bei der monatlich in Altona stattfindenden ‚Lobpreiszeit‘. Am 20.November wurden sie von Henning Woreschk am Klavier begleitet. Henning Worreschk ist seit November 2019 mit einer Teilzeitstelle in der Gemeinde Altona als Diakon angestellt.
Nach dem ersten Stück setzte sich Henning Worreschk dann ans E-Piano. Heike Will saß parallel am Klavier (sie ist eine der regelmäßig im Gottesdienst der Gemeinde klavierspielenden Musiker:Innen). Die Beiden spielten ‚Anthem‘ von Daniel Hellbach.
Jochen Heimes, der in den vergangenen Jahrzehnten auch immer wieder den Musikbereich der Gemeinde bereichert hat, griff anschließend zur Gitarre, lieh sich eine Melodie von Leonhard Cohen und sang dazu einen ergreifenden, die Theodizeefrage stellenden Text von Michael Quoist.
Danach wechselte Henning Worreschk vom Klavier an die Orgel und trug ein Jazzstück von Johannes Matthias Michel vor. Als der letzte Ton erklungen war, erklang auch hier, wie nach allen anderen Beiträgen des Abends auch, begeisterter Applaus.
Die Überleitung zur sich anschließenden Rockmusik der Brüder Rüdiger und Michael Zabel, die das Lied ‚Shot down‘ der christlichen Rocklegende Larrry Norman und das selbstkomponierte Stück ‚Morgenlicht‘ der ehemaligen Altonaer Band Primalux vortrugen, gehörte zu dem Teil der Musik in der Altonaer Gemeindegeschichte, zu dem im Rahmen des Abends aus dem Beitrag von Robin Zabel für die Festschrift folgende Sätze zitiert wurden:
„150 Jahre Christuskirche bedeutet auch mindestens fünfzig Jahre Pop- und Rockmusik für Gott. (…) Dabei haben diese kurzlebigen musikalischen Blüten die Gemeindekultur und auch Werke nachhaltig beeinflusst und geprägt. Altona galt immer als traditionelle Kirche, doch Kultur- und Diskussionsforen, wie z.B. come-in bewegten über die Zeit weit mehr als nur hunderte Jugendliche zu Besuchen unserer Kirche – nicht wenige begegneten hier über die Musik und durch persönliche Gespräche Gott.“
Nach der rockigen Musik der ‚Zabel-Brüder‘ wurde es im Kirchenraum dann wieder ruhiger. Heike Will spielte ‚Impromptu in As-Dur‘ von Franz Schubert, nachdem Henning Worreschk eine kurze musikgeschichtliche Einführung zu Franz Schubert gegeben hatte.
Micha Skau und seine Frau sangen und spielten im Anschluss ein Medley aus der Zeit von ‚Freier Eintritt‘, einem Jugendgottesdienst-Projekt in den 2000er Jahren der Gemeinde.
Den letzten Beitrag des Abends trugen dann wieder die Musiker bei, die den Abend eröffnet hatten. Die Philipp-Brüder sangen ‚Kein Heiliger‘ und unterstrichen in ihrer Anmoderation deutlich, dass sie als Christen zwar ‚heilig‘ seien, aber nicht ‚heilger‘.
Als am Ende des Abends gemeinsam ‚Der Mond ist aufgegangen’ gesungen wurde, legte sich noch einmal eine nachdenkliche Stimmung über die Besucher:Innen.
Das Nachtreffen der musikalisch vielfältige Abends, der von allen Beteiligten mit Herz und musikalischem Können gestaltet wurde, fand erst spät in der Nacht im Rondell der Christuskirche ein Ende.
Der Wunsch nach Wiederholung eines solchen Abends war in den Nachgesprächen oft zu hören.
Samstag, 20.November 2021: Ein historischer Spaziergang
Im Rahmen des Jubiläums fand ein ‚historischer Spaziergang‘ statt, der am Samstagmorgen um 11:00 Uhr mit einem gemütlichen Frühstück im Gemeindesaal der Christuskirche begann.
Friedhilde Bartels hatte gemeinsam mit Ehepaar Fleischer dafür gesorgt, dass der Tag einen schmackhaften Beginn hatte.
Historisch interessant ging es dann von ca. 10:30 Uhr bis 12:00 Uhr weiter.
Hans Rothkegel führte fachkundig und auch unterhaltsam in die Geschichte der Gemeinde ein, indem er zunächst ein paar Erläuterungen zur Entstehung der Gemeinde und dann anhand von im Gemeindesaal aushängenden Bilder der Christuskirche vor dem Krieg Hinweise zum Gebäude, zum Wideraufbau und der damit verbundenen architektonischen Ideen gab.
Auch theologische An- und Nebenbemerkungen kamen bei dem sich anschließenden ‚Vortrag im Laufen‘ in Richtung der heutigen Thadenstrasse, in der sich die zweite Kapelle der Gemeinde befand nicht zu kurz. Noch heute ziert der Schriftzug ‚Gott allein die Ehre‘ die Fassade des Vorderhauses, in dessen Hinterhof sich die ehemalige Baptistenkapelle befand.
Der nur kleine Kreis der ‚historischen Spaziergänger‘ erfuhr im Laufe des Vormittags Grundlegendes über die Gemeinde Altona. Es fehlten aber auch nicht kleine und ‚nette‘ Anekdoten, die immer wieder auch für ein Schmunzeln bei den Beteiligten sorgten.
Freitag, 19.November 2021: Der ‚Geburtstagsabend‘
Wie feiert man auf den Tag genau 150 Jahre nach der Gemeindegründung den Geburtstag einer Gemeinde? Die Christuskirche in Hamburg-Altona hat es am 19.11.2021, 150 Jahre nach dem 19.11.1871, auf eine, auf ihre Weise getan.
Zur gottesdienstlichen Geburtstagsfeier (oder war es ein ‚geburtstaglicher Gottesdienst‘?) waren knapp 30 Personen erschienen. Ebenso viele waren an den Bildschirmen zugeschaltet.
Nach einem triumphalen Intro-Video, welches an den Beginn von Kinofilmen erinnerte und die Geschichte der Gemeinde Altona ausschnitthaft in einer Minute darstellte, lasen die beiden Pastoren der Gemeinde im Wechsel acht Bibelstellen vor, die deutlich machten, dass Gemeinde und Gemeinschaft ein Geschenk Gottes sind.
Die Ältesten der Gemeinde, Stefan Hoyer, Reinhard Lüdecke und Wolfgang Pfeiffer begrüßten alle Besucher:Innen und dachten dabei auch besonders an diejenigen, die seit Jahrzehnten zur Gemeinde gehören, aufgrund ihres Alters an diesem Abend aber leider nicht teilnehmen konnten.
Nach Gebet und dem gemeinsamen Lied ‚Herr Jesu, Grundstein der Gemeinde‘ hielt Carsten Hokema eine Andacht, in der er zum einen die Freude über den besonderen Geburtstag und zum anderen die Herausforderung, Gemeinde immer offen und ehrlich zu leben, herausstellte.
Bezüglich des Miteinanders in der Gemeinde zitierte er aus Bonhoeffers ‚Gemeinsames Leben‘ (Anm.: Das Motto der Festwoche ‚Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist‘, welches als Banner in der Kirche aufgehängt wurde, stammt ebenfalls von D.Bonhoeffer): ‚Es kann sein, dass Christen trotz gemeinsamer Andacht, gemeinsamen Gebetes, trotz aller Gemeinschaft im Dienst allein gelassen bleiben, (…) weil sie zwar als Gläubige, als Fromme Gemeinschaft miteinander haben, aber nicht als die Frommen, als die Sünder. Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein. Unausdenkbar das Entsetzen vieler Christen, wenn auf einmal ein wirklicher Sünder unter die Frommen geraten würde.‘
Dass die ‚tote Christenheit‘ aus dem ‚Schlaf der Sicherheit‘ geweckt werden solle, diesen Wunsch äußerten alle Anwesenden, indem sie im Abschuss an die Andacht das Lied ‚Sonne der Gerechtigkeit‘ sangen.
Harald Frey, der ehemalige Gemeindeleiter der Gemeinde und Stefan Hoyer leiteten im Anschluss den Teil des Beisammenseins, in dem es um die Zeit der Gemeinde zwischen 1933 – 1945 ging. Harald Frey erinnerte an das Schuldbekenntnis des BEFG, welches im Rahmens des EBF-Kongresses in Hamburg verlesen wurde. Im Anschluss verlas er den ganzen Text des Schuldbekenntnisse.
Stefan Hoyer fügte Worte für die Gegenwart und Zukunft an:
„Gestern (Anm.: Am ‚Geschichtlichen Abend‘ zum Jubiläum) haben wir gehört (…), dass diese Gemeinde nicht nur eine war, die geschwiegen hat, sondern in dieser Gemeinde kam es zur Mittäterschaft, kam es zur Unterstützung des Naziregimes.
Wir können und wollen uns nicht erheben über unsere Geschwister, die vor uns gelebt haben.
Wir erkennen deutlich, dass sie verführt waren, aber wir haben einen aktuellen und frischen Schmerz, ein tiefes Erschrecken über das, was möglich war in unserer Gemeinde, die wir lieben, in der wir Gott begegnen. Wir sind tief erschrocken über die Dinge und wollen heute aus der Sicht 2021 neu uns von Gott ermutigen lassen, Dinge anders zu machen.
Wir wollen in der Gesellschaft nicht schweigende oder Mittäter oder Mithelfer sein und bleiben.
Wir wollen Unmenschlichkeit nicht Sachzwang nennen.
Wir wollen nicht auf Unrecht oder Böses mit Schweigen reagieren.
Wir wollen Ausgrenzung und Hass in jeder Form entgegentreten in der Liebe Jesu Christi und in seiner Klarheit.
Wir widerstehen und widersprechen jeder Form des Rassismus, auch einem religiösem Rassismus, auch einem Rassismus, der die Herkunft die politische Ausrichtung oder die Identität eines Menschen meint.
Wir widerstehen in der Klarheit und in der Liebe Jesu Christi diesen Strömungen und diesen Geisteshaltungen.
Wir erkennen dabei, dass wir nicht gegen Menschen kämpfen, nicht gegen ‚Fleisch und Blut‘, niemals gegen Menschen, sondern dass die Kräfte des Bösen damals und auch heute die Gesellschaft verführen wollen.
Wir einen uns nur in Jesus Christus, er ist allein der Herr. In ihm sind wir einer, weder Juden noch Griechen – wie es bei Pauls gesagt wurde -, sondern einer.“
Hendrikje Keßler sprach im Anschluss ein Gebet, in dem sie das zuvor Gesagte aufnahm und Gott um seinen Segen für den weiteren Weg der Gemeinde bat.
Im Anschluss feierte die Gemeinde Abendmahl und nahm sich auch Zeit für kurze Videos, in denen unterschiedliche Gemeindemitglieder nachdenkliche und auch heitere Aussagen zur Geschichte und Gegenwart der Gemeinde machten.
Zeugnisse, die skizzenhaft an einer Leinwand festgehalten wurden, schlossen sich an und gegen 21:00 Uhr erklang das Lied ‚Gesegnet sei das Band‘.
Der inhaltreiche aber auch abwechslungsreiche Abend wurde im Rondell der Gemeinde noch lange bei einem gemütlichen Beisammensein fortgesetzt.
Donnerstag, 18.November 2021: Ein Abend rund um die Geschichte
Muss man, um an einem Abend, der sich mit Geschichte beschäftigt, teilzunehmen grundsätzlich Interesse an geschichtlichen Fragen haben? Ist Geschichte nur oder vor allem etwas für detailinteressierte Bücherwürmer, die lieber in der Vergangenheit wühlen, als sich der Gegenwart zustellen? Geht es, wenn eine geschichtlich geprägte Veranstaltung im Rahmen eines Kirchenjubiläums gibt womöglich nur um ‚Geschichtchen aus dem Gemeindeleben‘? Die rund 30 Besucher:Innen und die ebenso vielen Zuschauer:Innen vor den Bildschirmen erlebten am Vorabend des 150. Geburtstags der Gemeinde Altona wohl einen etwas anderen ‚Geschichtsabend‘. Ein Abend, an dem keinesfalls ‚Geschichtchen‘ erzählt wurden, sondern an dem Stadt- und Kirchengeschichte lebendig wurden, um daraus für die Gegenwart und Zukunft lernen.
Zu Gast war die Kirchenhistorikerin Prof. Dr. Andrea Strübind und der Stadthistoriker Dr. Christoph Strupp. Im Laufe des Abends wurde sie zu drei unterschiedlichen Zeitabschnitten der vergangenen anderthalb Jahrhunderte befragt, kamen miteinander ins Gespräch und gingen auch auf Nachfragen aus dem Publikum ein.
Gerahmt wurden die Gesprächsblöcke durch sensibel ausgewählte, passend zu den Gesprächseinheiten vorgetragene klassische und moderne Musik, die Henning Worreschk an Orgel und Klavier zu Gehör brachte.
Im ersten Teil des Abend ging es um die Zeit rund um die Gründung der Gemeinde Altona. 1871 kam es zur Gründung des deutschen Kaiserreiches, 1871 wurde die Gemeine Altona gegründet. Dr. Strupp führte fachkundige in die Zeit der
damaligen Hamburger Welt ein und führte den Zuhörer:Innen anschaulich vor Augen, wie Menschen in der damaligen Zeit in Hamburg und in Altona lebten. Prof.Dr. Andrea Strübind verlängerte seine Aussagen in den kirchlichen Bereich, indem sie Hintergrundwissen zur Entstehung des deutschen Baptismus und der Altonaer Gemeinde vortrug.
Beiden Gästen gelang es nicht nur im ersten Block des Abends geschichtliche Fakten so zu präsentieren, dass ein lebendiges Bild der jeweiligen Zeit vor dem inneren Auge der Zuhörenden entstand.
Der zweite Teil des Abends drehte sich rund um die Zeit des Nationalsozialismus und um die Nachkriegsjahre. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass das Führerprinzip so widerstandslos nicht nur in der Stadt Hamburg, sondern auch in der Gemeinde Altona akzeptiert wurde und sich menschenfeindliche Aussagen und Verhaltensweisen durchsetzen konnten oder zumindest mitgetragen wurden, zog sich unausgesprochen und ebenso deutlich formuliert und nachgefragt durch die zweite Gesprächsrunde.
Nachdenklich und betroffen machten die Aussagen von Prof.Dr. Andrea Strübind zum damaligen Gemeindemitglied Georg Ahrens. 1930 war er der NSDAP beigetreten und wurde Senator der Stadt Hamburg, Präsident der Staatsverwaltung und Vertreter des Reichsstatthalters und war somit unter dem damaligen Bürgermeister auf Platz zwei der Machthierarchie in der Hansestadt zu finden. Er war Mitglied der Gemeinde Hamburg Altona. 1940 bat er um Beendigung seiner Mitgliedschaft, blieb der Gemeinde aber wohl gesonnen. Und die Gemeinde ihm ….
Zitat aus dem Artikel von Prof.Dr.Andrea Strübind für die Festschrift der Gemeinde Altona: „Die Gemeinde, so ist zu vermuten, schien durch ihr prominentes Mitglied schnell bereit, sich an die neuen Verhältnisse der nationalsozialistischen Diktatur anzupassen.“ In einem anderen Zusammenhang schreibt A.Strübind in ihrem Artikel „Dies veranschaulicht, dass Ahrens trotz seiner politischen Überzeugung und seiner steilen Karriere in der NSDAP, im Zuge derer er auch Gruppenführer der SS wurde, für die Altonaer Gemeindemitglieder weiterhin als gläubiger Christ und Anwalt der Gemeinde galt.“
Erinnert wurde gegen Ende der Beschäftigung mit diesem dunklen Kapitel der Gemeindegeschichte an das von Pastor Günther Hitzemann, ehemaliger Pastor der Gemeinde Altona und 1984 Präsident des BEFG im Rahmen des EBF-Kongresses im August 1984 vorgetragene ‚Hamburger Schuldbekenntnis‘, in dem es u.a. heißt: „Wir haben uns nicht öffentlich mit dem Kampf und Leiden der Bekennenden Kirche verbunden und ebenso versäumt, eindeutig die Verletzungen göttlicher Gebote und Ordnungen zu widerstehen. Es beugt uns, dass wir als deutscher Bund den ideologischen Verführungen jener Zeit oft erlegen sind und nicht größeren Mut zum Bekenntnis für Wahrheit und Gerechtigkeit bewiesen haben. (…) Wir bitten Gott, dass wir aus diesem Teil unserer Geschichte lernen, um dadurch wacher zu sein im Blick auf die geistigen Verführungen unserer Zeit.“
Im dritten Teil des Abends ging es um die Gegenwart von Kirche und Gesellschaft. Dr. Strupp machte deutlich, dass ‚Kirche‘ ein wenig wahrzunehmenden Einfluss auf die Gesellschaft hat und dass die Gesellschaft insgesamt weniger christlich-religiös, dafür aber umso mehr multi-religiös geprägt ist. Andrea Strübind erläuterte den Hintergrund dieser Entwicklung und erklärte auch, wie es kam und bis heute so geblieben ist, dass die Mehrheitskirchen in enger Verbundenheit mit dem Staat auftreten.
Im Anschluß an den letzten thematischen Block schloss sich eine Fragerunde an.
Die Teilnehmenden waren besonders an Fragen rund um die Zeit des Nationalsozialismus interessiert.
Ein engagiertes, ehrliches und offenes Gespräch entwickelte sich zwischen den Gästen und den Teilnehmenden.
Nein, man musste an diesem Abend kein detailinteressierter Geschichtsfan oder geschichtsinteressierter Bücherwurm sein, um aus der Geschichte zu lernen und um über das eigen Leben und auch über das Gemeindeleben ins Nachdenken zukommen.
Die klare und offene Art und die zugleich eloquent vorgetragene reiche Geschichtskenntnis von Andrea Strübind und Christoph Strupp haben diesen Abend zu einem Abend gemacht, der ‚Geschichte gemacht hat‘.
Das Gehörte wird auch in Zukunft nachwirken.