19. November 2021 | erlebt

Ein Abend rund um die Geschichte …. Ein Bericht


Muss man, um an einem Abend, der sich mit Geschichte beschäftigt, teilzunehmen grundsätzlich Interesse an geschichtlichen Fragen haben?
Ist Geschichte nur oder vor allem etwas für detailinteressierte Bücherwürmer, die lieber in der Vergangenheit wühlen, als sich der Gegenwart zustellen? Geht es, wenn eine geschichtlich geprägte Veranstaltung im Rahmen eines Kirchenjubiläums gibt womöglich nur um ‚Geschichtchen aus dem Gemeindeleben‘? Die rund 30 Besucher:Innen und die ebenso vielen Zuschauer:Innen vor den Bildschirmen erlebten am Vorabend des 150. Geburtstags der Gemeinde Altona wohl einen etwas anderen ‚Geschichtsabend‘. Ein Abend, an dem keinesfalls ‘Geschichtchen’ erzählt wurden, sondern an dem Stadt- und Kirchengeschichte lebendig wurden, um daraus für die Gegenwart und Zukunft lernen.

 

 

Zu Gast war die Kirchenhistorikerin Prof. Dr. Andrea Strübind und der Stadthistoriker Dr. Christoph Strupp. Im Laufe des Abends wurde sie zu drei unterschiedlichen Zeitabschnitten der vergangenen anderthalb Jahrhunderte befragt, kamen miteinander ins Gespräch und gingen auch auf Nachfragen aus dem Publikum ein.

Gerahmt wurden die Gesprächsblöcke durch sensibel ausgewählte, passend zu den Gesprächseinheiten vorgetragene klassische und moderne Musik, die Henning Worreschk an Orgel und Klavier zu Gehör brachte.

 

Im ersten Teil des Abend ging es um die Zeit rund um die Gründung der Gemeinde Altona. 1871 kam es zur Gründung des deutschen Kaiserreiches, 1871 wurde die Gemeine Altona gegründet. Dr. Strupp führte fachkundige in die Zeit der
damaligen Hamburger Welt ein und führte den Zuhörer:Innen anschaulich vor Augen, wie Menschen in der damaligen Zeit in Hamburg und in Altona lebten. Prof.Dr. Andrea Strübind verlängerte seine Aussagen in den kirchlichen Bereich, indem sie Hintergrundwissen zur Entstehung des deutschen Baptismus und der Altonaer Gemeinde vortrug.

Beiden Gästen gelang es nicht nur im ersten Block des Abends geschichtliche Fakten so zu präsentieren, dass ein lebendiges Bild der jeweiligen Zeit vor dem inneren Auge der Zuhörenden entstand.

Der zweite Teil des Abends drehte sich rund um die Zeit des Nationalsozialismus und um die Nachkriegsjahre. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass das Führerprinzip so widerstandslos nicht nur in der Stadt Hamburg, sondern auch in der Gemeinde Altona akzeptiert wurde und sich menschenfeindliche Aussagen und Verhaltensweisen durchsetzen konnten oder zumindest mitgetragen wurden, zog sich unausgesprochen und ebenso deutlich formuliert und nachgefragt durch die zweite Gesprächsrunde.
Nachdenklich und betroffen machten die Aussagen von Prof.Dr. Andrea Strübind zum damaligen Gemeindemitglied Georg Ahrens. 1930 war er der NSDAP beigetreten und wurde Senator der Stadt Hamburg, Präsident der Staatsverwaltung und Vertreter des Reichsstatthalters und war somit unter dem damaligen Bürgermeister auf Platz zwei der Machthierarchie in der Hansestadt zu finden. Er war Mitglied der Gemeinde Hamburg Altona. 1940 bat er um Beendigung seiner Mitgliedschaft, blieb der Gemeinde aber wohl gesonnen. Und die Gemeinde ihm ….
Zitat aus dem Artikel von Prof.Dr.Andrea Strübind für die Festschrift der Gemeinde Altona: „Die Gemeinde, so ist zu vermuten, schien durch ihr prominentes Mitglied schnell bereit, sich an die neuen Verhältnisse der nationalsozialistischen Diktatur anzupassen.“  In einem anderen Zusammenhang schreibt A.Strübind in ihrem Artikel „Dies veranschaulicht, dass Ahrens trotz seiner politischen Überzeugung und seiner steilen Karriere in der NSDAP, im Zuge derer er auch Gruppenführer der SS wurde, für die Altonaer Gemeindemitglieder weiterhin als gläubiger Christ und Anwalt der Gemeinde galt.“

Erinnert wurde gegen Ende der Beschäftigung mit diesem dunklen Kapitel der Gemeindegeschichte an das von Pastor Günther Hitzemann, ehemaliger Pastor der Gemeinde Altona und 1984 Präsident des BEFG im Rahmen des EBF-Kongresses im August 1984 vorgetragene ‚Hamburger Schuldbekenntnis‘, in dem es u.a. heißt: „Wir haben uns nicht öffentlich mit dem Kampf und Leiden der Bekennenden Kirche verbunden und ebenso versäumt, eindeutig die Verletzungen göttlicher Gebote und Ordnungen zu widerstehen. Es beugt uns, dass wir als deutscher Bund den ideologischen Verführungen jener Zeit oft erlegen sind und nicht größeren Mut zum Bekenntnis für Wahrheit und Gerechtigkeit bewiesen haben. (…) Wir bitten Gott, dass wir aus diesem Teil unserer Geschichte lernen, um dadurch wacher zu sein im Blick auf die geistigen Verführungen unserer Zeit.“

Im dritten Teil des Abends ging es um die Gegenwart von Kirche und Gesellschaft. Dr. Strupp machte deutlich, dass ‚Kirche‘ ein wenig wahrzunehmenden Einfluss auf die Gesellschaft hat und dass die Gesellschaft insgesamt weniger christlich-religiös, dafür aber umso mehr multi-religiös geprägt ist. Andrea Strübind erläuterte den Hintergrund dieser Entwicklung und erklärte auch, wie es kam und bis heute so geblieben ist, dass die Mehrheitskirchen in enger Verbundenheit mit dem Staat auftreten.

Im Anschluß an den letzten thematischen Block schloss sich eine Fragerunde an.
Die Teilnehmenden waren besonders an Fragen rund um die Zeit des Nationalsozialismus interessiert.
Ein engagiertes, ehrliches und offenes Gespräch entwickelte sich zwischen den Gästen und den Teilnehmenden.

Nein, man musste an diesem Abend kein detailinteressierter Geschichtsfan oder geschichtsinteressierter Bücherwurm sein, um aus der Geschichte zu lernen und um über das eigen Leben und auch über das Gemeindeleben ins Nachdenken zukommen.
Die klare und offene Art und  die zugleich eloquent vorgetragene reiche Geschichtskenntnis von Andrea Strübind und Christoph Strupp haben diesen Abend zu einem Abend gemacht, der ‚Geschichte gemacht hat‘.
Das Gehörte wird auch in Zukunft nachwirken.