18. Februar 2025 | 

Von der Chorsängerin zur Chorleiterin

1971 erhielt ich in unserem damaligen  Wohnort Hannover den Bescheid, in Hamburg Schulmusik studieren zu können. Nun galt es für meinen Mann und mich, uns nach einer Wohnung umzusehen. Bald erreichte uns die Nachricht, dass es aussichtlos sei, auf eine Wohnung in Hamburg zu hoffen, da es 40.000 Wohnungssuchende in der Stadt gebe.

Im Telefonbuch fand ich 13 Adressen von Baptisten- Gemeinden in Hamburg und bat schriftlich deren Pastoren um Mithilfe bei der Suche nach einer Wohnung. Und tatsächlich, Pastor Rudi Sichelschmidt von der Gemeinde Altona antwortete uns mit der Aussicht auf eine kleine Wohnung in Hamburg-Eppendorf im Haus der  Schwester Ochs. Im Februar 1972 zogen wir um und wurden Mitglied in unserer neuen Gemeinde – natürlich  in Hamburg-Altona.

Ganz selbstverständlich trat ich dem Gemeinde-Chor bei, der von Helmut Chitrala geleitet wurde. Wie bewunderte ich seine Künste am Klavier und seiner Beherrschung jeder Chorstimme. Die Chorprobe in dem großen Chor von etwa 40 Sängerinnen und Sängern bedeutete für mich immer einen Höhepunkt im wöchentlichen Ablauf und ebenso der allsonntägliche zweimalige Einsatz  im Gottesdienst.

Nach wenigen Jahren verließ uns Helmut Chitrala aus beruflichen Gründen und der Dozent Hans-Georg Lotz übernahm die Chorleitung.  Dessen Können ließ mir manchmal den Atem stocken, denn seine harmonisch äußerst komplizierten Lied-Kompositionen waren oft ohne seine  Hilfe am Klavier für uns nur schwer zu meistern. Daher war es hin und wieder nötig,  ein Chor-Wochenende außerhalb unserer Kirche durchzuführen, um mehr Zeit für intensives Üben zu haben. Bei solchen Aktionen oder  Chor-Auftritten in anderen Gemeinden bat mich Hans-Georg Lotz von Zeit zu Zeit, den Chor einzusingen, da ich durch mein Studium in Chorleitung und Gesang damit inzwischen ein wenig vertraut war.

Nach acht Jahren beendete Hans-Georg Lotz seine Chorarbeit in unserer Gemeinde und der damalige Gemeindeleiter Johannes Thomas bat mich daraufhin, dessen Arbeit weiterzuführen. „Mit fliegenden Fahnen“ einerseits und mit „Zittern und Zagen“ andererseits bereitete ich mich auf diese neue Aufgabe vor.

Um 5.00 Uhr früh, noch weit vor der Abfahrt zu meiner Schule, saß ich bereits am Klavier, spielte Chorsätze durch und studierte die Kompositionen, denn begeistertes Fieber hatte mich gepackt.   Trotzdem fuhr ich in den ersten Wochen und Monaten bebend und bittend um Gottes Hilfe zur Probe und war dann doch am Ende dankbar, dass alles gut gelungen war und die Sänger Freude gehabt hatten.

Es hörte sich für mich gut an,  wenn die Choristen mir am Ende einer Probe sagten:“Wir sind so müde hergekommen, aber du hast uns mit deinem Schwung wieder wach gemacht.“

In jedem Gottesdienst, vier- oder fünf Mal im Monat, trugen die Sängerinnen und Sänger zwei oder drei Chorsätze vor. Es machte mir große Freude, diesen Chor mit seinem satten Klang zu dirigieren und bei Lobliedern  zu strahlenden Forte-Passagen herauszufordern, aber auch der Kontrast zum Pianissimo rührte die Zuhörer. Ja, zu dieser Zeit erfuhren wir viel Lob von der Gemeinde.

Aber  im Laufe der Jahre nahm  die Mitgliederzahl  des Chores  durch Wegzug, Stimmbeschwerden aus Altersgründen und Sterben ab und darum begrenzten wir den sonntäglichen Choreinsatz auf  14 Tage. Um von der Gemeinde besser gehört zu werden, sangen wir nicht mehr von der Empore aus, sondern versammelten uns für unseren Vortrag im Gottesdienstraum vor dem Abendmahls-Tisch.

Die Gemeinde freute sich, uns nun vor sich zu sehen, für den Chor war es ein eher trauriger Schritt, der außerdem mit der Absicht verbunden war, gleichzeitig durch den Organisten am Flügel unterstützt zu werden. Die Sänger und Sängerinnen freuten sich inzwischen über Enkel,  Rentner-Sein und die damit unbeschränkte Möglichkeit zu reisen. In den Proben gestaltete sich die Chorbesetzung daher  immer unzureichender und viel zu oft  stellten wir am Sonntag- Morgen fest, nicht vortragsfähig zu sein.

Darum wurde ich bald gebeten: „Bitte, Isolde, studiere mit uns keine schwierigen Chor-Sätze mehr ein. Unsere Stimmen haben bei zu Vielen von uns  in den hohen Tönen nachgelassen und wir schaffen auch die schwierigen polyphonen Kompositionen nicht mehr.“ Darum trugen wir in den letzten Jahren mehr oder weniger nur noch Choral-ähnliche Lieder im Gottesdienst vor.

Als dann Anfang 2018 einige Sopranistinnen ankündigten, aus stimmlichen und gesundheitlichen Gründen aus dem Chor austreten zu wollen, war der Zeitpunkt gekommen, einen Schlussstrich zu ziehen. Das war für den Rest des Chores schmerzlich, aber unumkehrbar.

Ich habe  den Chor 36 Jahre geleitet und empfand die Arbeit als eine mir von Gott gegebene Auszeichnung,  als  ein Geschenk zur  Bereicherung meines Lebens und vor allem anderen als einen Dienst für Gott und die Gemeinde.

Kategorien: Musik in der Gemeinde Altona
Schlagwörter: Hans-Georg Lotz, Helmut Chitrala
Autor: Isolde Krüger
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