Hinter den Kulissen eines Radiogottesdienstes
Ein persönlicher Bericht.
Natürlich kann ich nur von ‚hinter den Kulissen‘ des Radiogottesdienstes berichten, den ich selber mitgestaltet habe. Bei diesem Radiogottesdiensten bedeutete ‚hinter den Kulissen‘ zunächst einmal ‚auf dem Schreibtisch‘. Mitte Dezember hatten wir als Gemeinde die Anfrage vom Rundfunkreferat der evangelischen Kirchen erhalten, ob wir am 21.2.21 den Radiogottesdienst gestalten können. Eine andere Freikirche war kurzfristig abgesprungen und die Verantwortlichen suchten Ersatz. Normalerweise beträgt die Vorlaufzeit für einen Radiogottesdienst wohl so circa ein halbes Jahr.
Wir hätten nur zwei Monate.
Nachdem ich mit den Ältesten der Gemeinde eine Zusage abgestimmt hatte, sagte ich der verantwortlichen Radiopastorin Bescheid, dass ich mir wohl in der ersten Januarwoche Gedanken machen könnte. Zwei inhaltliche Ideen brachte ich zu Papier. In einem ausführlichen Telefonat Anfang Januar machte mir die Radiopastorin deutlich, dass mein favorisiertes Thema zu ‚kirchenintern‘ sei. Ich musste etwas schlucken. Ja, sie hatte Recht, aber dass mir das passieren musste … .
Ich sagte zu, dass ich in der zweiten Januarwoche einen Entwurf zum zweiten Thema, dem Thema ‚Verrat‘, welches durch den in der Perikopenordnung vorgegeben Predigttext gegeben war, machen würde. In der zweiten Januarwoche war ich jedoch durch ein für mich persönlich plötzlich sehr aufwühlendes Ereignis nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen.
Mitte bis Ende Januar quälte ich mich dann drei Tage lang am Schreibtisch, um einen Gottesdienstablauf mit möglichst sinnigen, zueinander passenden Elementen zu erarbeiten. Zwischendrin das Anschreiben und Telefonieren mit möglichen Beteiligten. Und immer wieder auszufüllende Listen für den NDR. Und wie sieht es eigentlich mit der Technik aus? Und können wir trotzdem streamen? Nach drei Tagen stand das Gerüst des Gottesdienstes. Und die Predigt war schon mal angedacht, ein paar exegetische Anmerkungen notiert und die erste ‚Predigtlinie‘ aufgeschrieben.
Das Gottesdienstgerüst bekam ein ‚Okay‘. Jetzt musste nur an x Stellen nachjustiert werden. Genaue Zeiten (bis auf 15 Sekunden genau) mussten bei den Beteiligten eingeholt werden. Die Gottesdienstmitgestalter*innen bekamen eine ‚rote Linie‘ mitgeteilt und ich bat um Einreichung ihrer Texte innerhalb von 10 Tagen.
Drei Tage Predigtformulierung standen für mich an. Predigtschreiben ist für mich immer eine Herausforderung, aber diesmal brauchte ich drei Tage … . Zwischendrin immer mal die Gedanken „Warum mache ich das eigentlich?“, „Das können andere besser!“, „Warum habe ich nur zugesagt?“, „Man kann sich das Leben auch einfacher machen!“.
Dann war sie endlich fertig, die Predigt. Eine E-Mail an die Radiopastorin Susanne Richter. Ich glaube, das war etwa zu dem Zeitpunkt, als wir anfingen, uns zu duzen. Ich muss sie einfach mal über den Klee loben. Susanne Richter hat es echt drauf. In ihrer feinen Art hat sie Dinge angesprochen, die suboptimal waren, hat freundlich nachgefragt und wirklich immer den richtigen Ton (aha, Radio!) getroffen. Und sie hat Ahnung. Vom Radiomachen, von der Hörer*innensituation und vom Umgang mit Gemeindeleuten ‚an der Basis‘.
Irgendwann im letzten Drittel des Januar war dann der Gottesdienst und die Predigt fertig. Dachte ich. Ist das Lied ‚Nice and easy‘ nach dem ersten Predigtteil wirklich passend? Der Titel klingt nicht so. Gespräch mit der Pianistin. „Klingt nicht so, geht aber doch.“ Vertrauen ist gut. Kontrolle ist nicht immer besser. ‚Nice and easy‘ bleibt!
Und dann kam irgendwann die Mail wegen der Predigt. ‚Ja, prima, die können wir so nehmen. Klasse. Ein paar Anmerkungen in der angehängten Datei.‘ Neben den orthografischen Anmerkungen, die ich echt übersehen kann, waren da dann doch etliche Anmerkungen inhaltlicher und formaler Art, bei denen ich erstmal schlucken musste.
„Da kann ich ja gleich nochmal ganz neu schreiben.“ Ein halber Tag schlechte Laune und eine Nacht unruhiger Schlaf. Zwei Tage verdrängen. Aussitzen. Ein sehr hilfreiches Telefonat mit Susanne Richter. Jetzt verstand ich, was sie meinte. Dann noch ein Tag Predigt-Umschreib-und Ergänzungs-Kampf am Schreibtisch. E-Mail mit Anhang versenden. Weg. Am Tag danach die Antwort: „Klasse. Die nehmen wir genau so!“ Die Waage im Bad zeigt noch immer zu viele Kilogramm an, aber ein Stein war doch vom Herz gefallen.
Was dann folgte waren jede Menge Absprachen wegen kleiner formaler Dinge. Hier ein Hinweis, dort eine Nachbesserung. Nochmal mit den Beteiligten ihre Texte durchsprechen. Und dann war endlich der Samstag vor dem Sonntag.
Pünktlich um kurz nach 10:00 Uhr kamen die Techniker mit dem Übertragungswagen auf den Hof gefahren. Echt nette Menschen! Kurze Einweisung und dann haben die Beiden die Kirche in ein Tonstudio umgewandelt. Gemeinsames Pizzaessen mit ausreichend Corona-Abstand vor der Kirche. Um 14:00 Uhr kamen Susanne Richter und die NDR-Redakteurin Sabine Korbmann. Um kurz vor 15:00 Uhr kamen dann auch sämtliche Beteiligten. Eine halbe Stunde Besprechung. Wer steht wann wo an welchem Mikrophon? Worauf ist zu achten? Wer stellt eigentlich das Mikro runter, wenn Tonje spricht? Und muss Rüdiger nicht doch noch den Mikroplatz wechseln?
Und dann ein Durchgang durch den Gottesdienst. Generalprobe. Das grüne Licht leuchtet. Dann das rote Licht. Ich bin in einem Tunnel. Es läuft wie am Schnürchen. Und es hakt hin und wieder. Verunsicherung. Einfach weiter. Greta und Heike begeistern. Ich möchte applaudieren. Geht aber nicht. Nach genau 57 Minuten sind wir fertig. Oha! Wir sind drei Minuten zu kurz. 35 Minuten Nachbesprechung. Woher bekommen wir die restlichen drei Minuten?
Irgendwie glücklich über das Gesamtpaket verabschieden wir uns voneinander. Ich bin platt. Aber wenn sie schon mal da ist, dann kann Susanne Richter doch noch zwei Interviews bzw. Aufnahmen mit mir machen. Das hatte sie angekündigt. Wir sitzen im Clubraum der Gemeinde. Ich habe kaum noch Konzentration. Es klappt aber doch irgendwie.
Abends dann noch eben ein paar Dinge im Manuskript ändern, zwei Telefonate und dann Beine hoch. Ich schlafe bestens.
Sonntagmorgen, 8:00 Uhr. Kaffee. Der Satellitenwagen stellt sich auf dem Hof neben den Übertragungswagen. Ich treffe die beiden Radiodamen auf dem Hof. Die Sonne scheint. Letzte Absprachen. Irgendwie ist es ruhiger als gestern. Um 9:15 Uhr sind alle Beteiligten im Gottesdienstraum. Drei Einzelproben werden noch gemacht. Nachjustieren. 9:45 Uhr. Es wird so ruhig im Gottesdienstraum, wie manche Gottesdienstbesucher*innen sich es wohl auch an normalen Sonntagen wünschen. Es ist aber – soweit ich das beurteilen kann – nicht die ‚heilige‘, ‚meditative‘ und ‚besinnliche‘ Stille, sondern die innerlich angespannte Stille vor dem kommenden ‚Sturm der Worte und Melodie‘. Konzentration und Anspannung pur.
Dann 30 Sekunden vor Sendebeginn das grüne Lämpchen. Punkt 10:00 Uhr das rote Lämpchen. Heike schlägt die Tasten an. „Hier sind NDR Info und WDR 5. Aus der Christuskirche in Hamburg-Altona übertragen wir einen evangelischen Gottesdienst.“
Um 10:59 und 50 Sekunden spielt Heike ihre letzten Takte. Dazwischen liegen knapp 60 Minuten schönster Konzentration. Ich bin begeistert von den wunderbaren Menschen, die sich in die Gestaltung des Gemeindelebens und eben auch in diesen Gottesdienst einbringen. Jede und jeder hat – aus meiner Sicht – im Vergleich zum Samstag ‚noch eine Schippe obendrauf gelegt‘. Ich freue mich über so viele begabte Leute. Und ich bin von Herzen dankbar, dass alles so gut geklappt hat.
Die beiden ‚Radiodamen‘ lächeln, lachen und applaudieren. Alle anderen applaudieren zunächst einmal den Kindern, die beteiligt waren. Tonje und Greta. Sie waren einfach klasse. Und dann bekommen die beiden natürlich eine Tafel Kinderschokolade. Und weil wohl auch allen Erwachsenen ein Stein vom Herzen gefallen ist, bekommen sie – ist doch echt mal egal, was die Waage im Bad anzeigt! – auch eine Tafel Schokolade. Vollmilch.
Es geht dann noch drei Stunden weiter. Dreißig Telefonate erreichen mich. Dankbare Anrufe. Getröstete Menschen. Mut machende Anmerkungen. Seelsorgerliche Gespräche. Bitten um Manuskriptzusendungen.
Ach ja, ein Mensch war dabei, der Kirche als Institution und so und alles und überhaupt. Nein, Kirche macht nicht alles richtig. Da stimme ich ihm zu.
Ich werde aber nicht verraten, wer der Anrufer war ;).
Carsten Hokema