Theologische Impulse. Podcast-Empfehlung! „Persönliche Entscheidung für den Glauben?!“
Wie ist das eigentlich mit der ‚persönlichen Entscheidung‘ für den Glauben? Welche Bedeutung hat die persönliche Entscheidung? Oder ist ‚einfach alles Gnade‘?
Wenn zwei Theologen mit Herz und Hirn sich über dieses Thema unterhalten, dann kommt dabei ein interessantes Gespräch heraus. Das Gespräch zwischen Prof. Dr. Michael Kißkalt und Joachim Gnep, Leiter des Dienstbereich Mission im BEFG, steht unter der Frage: Welche Rolle spielt die persönliche Entscheidung beim Christwerden?
Wer nicht hören will, kann lesen :).
Nachfolgend sind zusammenfassende Gedanken von Prof.Dr.Michael Kißkalt zum Thema veröffentlicht.
Theologische Impulse zum Thema Glaubensentscheidung
Zum Thema könnte man natürlich Bücher füllen, aber ich will im Folgenden einfach einige Gedankenanstöße geben.
- Menschliche Glaubensentscheidung oder Erwählung durch Gott?
Dass ein Mensch zum Glauben an Christus kommt, bewirkt die gnädige Erwählung Gottes, und doch ist der Glaube auch ganz und gar die Entscheidung des Menschen. Der Glaube kommt von Gott ist aber auch ein „menschlich Ding“, weil es eben der Glaube eines Menschen ist. Darum ist es angemessen, über die menschliche Glaubensentscheidung theologisch und praktisch nachzudenken.
In der Bibel findet man einerseits eindeutige Aussagen, dass Gott den Menschen erwählt und in ihm Glauben schafft (z.B. Joh. 15,16), und andererseits die Aufforderung, dass der Mensch umkehren soll (z.B. Mk 1,16, 1.Thess 1,9). Dem entspricht die Beobachtung, dass das Werden des Glaubens einerseits als „Wiedergeburt“ oder als „Neugeburt“ bezeichnet wird (Joh 3, 5-8): Hier wirkt allein der frei wehende Heilige Geist. Andererseits findet man Ausdrücke für den Anfang des Glaubens, der auf das Engagement des Menschen verweist: Er bekehrt sich, er kehrt um, er tut Buße (Apg. 2,38; 3,19).
In der Theologiegeschichte wurden von diesen beiden biblischen Linien her diverse Vorschläge unterbreitet, wie man sie zusammen denken kann.
Ein Ansatz hält die Freiheit der menschlichen Entscheidung hoch und ordnet den göttlichen und menschlichen Impuls als ein Nacheinander an: a. Der Mensch entscheidet sich frei, Gott besiegelt dies mit einem
Gnadenimpuls, oder: b. Gott gibt den Impuls, auf den hin sich der Mensch frei entscheidet. Hier wird faktisch der göttliche und der menschliche Anteil addiert, damit es dann zum Glauben kommt. Je nach theologischer Vorliebe wird der göttliche bzw. menschliche Anteil der Bekehrung größer oder kleiner angesehen. Der Nachteil dieses Denkens besteht darin, dass die Allmacht Gottes anscheinend bei der Freiheit des Menschen endet und vorausgesetzt wird, dass der Mensch tatsächlich so frei ist, eine freie Entscheidung zu treffen. Aber: Wenn die Glaubensentscheidung außerhalb der Allmacht Gottes geschieht, ist Gott dann noch allmächtig? Kann der Mensch, gefangen in seiner Sünde, sich wirklich frei entscheiden?
Ein anderer Ansatz stellt die Allmacht Gottes in den Vordergrund: Allein das gnädige Erwählen Gottes schafft den Glauben des Menschen. Nur Gott selbst kann die Sündenverfallenheit des Menschen überwinden, so dass es zum Glauben kommen kann. Gott wirkt ganz und gar die Entscheidung des Menschen. Dazu ist kritisch anzumerken, dass hier der Mensch wie eine Marionette zu sein scheint, an der Gott die Fäden zieht. Letztlich wird vernachlässigt, dass der Wille zum Glauben auch etwas Menschliches ist.
Gegenüber diesen Ansätzen schlage ich vor, die beiden biblischen Aussagenstränge, Glaubensgehorsam des Menschen und Gottes gnädiges Erwählen, in ihrer Spannung zueinander stehen zu lassen.
In dieser Spannung spiegelt sich ein Geheimnis wider, das mitmenschlicher Logik nicht vollends erklärt werden kann: Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, ist das 100% Gottes Wirken, aber auch 100% die Entscheidung des Menschen. Beides kann man nicht addieren, sondern man muss es als ein geheimnisvolles Ineinander von zwei Handlungsströmen sehen. Dass ein Mensch glaubt, ist ganz und sein Wille und seine Entscheidung, aber diese Entscheidung ist doch umgeben und getragen von Gottes liebender Gnade. Wenn ich einmal vor Gottes Thron stehe, werde ich nicht sagen: „Hier bin ich, ich habe mich für dich entschieden!“ Sondern ich werde sagen: „Danke, Gott, dass Du mich zu dir gezogen und mich zu deinem Kind gemacht hast!“ Jedoch: Auch, wenn die menschliche Entscheidung umgeben und getragen ist von Gottes gütigem Tun, so ist es doch eine willentliche Entscheidung des Menschen.
Konsequenz für die Praxis: Auch, wenn man darum weiß, dass Gottes Gnade Glauben schafft, ist in der Verkündigung der Wille des Menschen anzusprechen. Denn Gottes Gnade vollzieht sich nicht in einer unbestimmbaren Geisteswelt, sondern konkret im menschlichen Leben. Im Namen des Evangeliums laden wir zum Glauben ein, bitten wir darum, Gottes Versöhnung anzunehmen. Dazu braucht es eine angemessene Rhetorik und die Ermöglichung von Antworten, zum Beispiel durch symbolische Handlungen oder durch ein Gesprächsangebot.
Manche sagen: „Die Predigt des Evangeliums wirkt von alleine. Einen speziellen Aufruf, eine einladende Bitte oder ähnliches braucht es nicht.“ Wer so redet, vernachlässigt die menschliche Dimension des Glaubens; es ist der Mensch, der sich vertrauensvoll in die Arme Gottes hineinwirft, und dieser Schritt braucht eine menschlich-greifbare Ausdrucksform. Natürlich kann der Glaube einfach verborgen im Herzen wachsen, aber christlicher Glaube, so sehr er von Gott inspiriert ist, ist menschlicher Glaube und damit auch leibhaftig. Darum macht die konkrete Einladung zum Glauben mit einem Entscheidungsaufruf Sinn. Wie man diesen Aufruf dann sprachlich ausdrückt, ob tröstend oder mahnend, einladend oder appellierend, das hängt in erster Linie von dem Bibeltext ab, über den man predigt, in zweiter Linie von der Situation der Verkündigung.
- Wie und warum „bekehren“ sich Menschen?
Seit den Erweckungsbewegungen im 19. Jahrhundert in Nordamerika gibt es Studien (William James) zum Thema „Bekehrung“. Das ist angemessen: Der Glaube ist zwar immer ein Geheimnis, das mit Gottes gnädigen Wirken zu tun hat, doch Glauben ist auch etwas
Menschliches. Bis heute wird das Thema in religionspsychologischen Studien, vor allem unter der Überschrift „religiöse Erfahrungen“ behandelt. Warum und wie Menschen zum Glauben kommen, kann sehr unterschiedlich sein: Bei manchen entspringt der Glaube einer besonderen religiösen Erfahrung, bei anderen wächst Glaube aus einer negativen, schuldhaften Selbstwahrnehmung oder auch aus einer dramatischen Lebenserfahrung heraus. Andere haben Probleme, die sie mithilfe des Glaubens lösen. Auch der Wunsch, Teil einer ermutigenden menschlichen Gemeinschaft zu werden, ist eine Motivation für eine Bekehrung. Bei manchen findet die Bekehrung in einem sehr kurzen Zeitraum statt, andere wachsen in den Glauben hinein. An diesen wenigen Beispielen wird schon deutlich, dass je nach Situation, Persönlichkeit und Charakter eines Menschen Glaubensentscheidungen sehr unterschiedlich und aufgrund diverser Impulse ablaufen können. Darum sind Menschen auch auf vielfältige Weisen auf das Evangelium ansprechbar. Die einen reagieren eher auf Appelle, andere auf tröstendempathische Zusagen der Liebe Gottes, manche auf Glaubenszeugnisse, einige auf die besondere menschliche Art des Verkündigers oder der Verkündigerin. Von daher ist es für die Gemeindearbeit optimal, wenn man eine bunte Palette von Zugängen zum Glauben anbieten kann. Nach den dramatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs war die eine Form der Zeltevangelisation mit der einen Form von Verkündigung und Glaubensappell angebracht, weil alle Menschen von einer ähnlichen schweren Lebenserfahrung herkamen und sich in ähnlichen Lebenssituationen befanden. In dem heute individuell sehr differenzierten Leben braucht es demgegenüber viele Anknüpfungspunkte, damit Menschen sich auf den Glauben einlassen. Eine echte Bekehrung an nur einer Form von Gebet oder Glaubenszeugnis festzumachen, ist demgegenüber unangemessen.
Weil Bekehrung eben auch ein göttliches Geschehen ist, ein Impuls durch das Evangelium, muss sich alles menschliche Wirken zur Bekehrung Anderer hin immer wieder hinterfragen, ob es dem Menschen, den Gott ihn als sein Ebenbild geschaffen hat und liebt, gerecht wird. Natürlich wünscht man sich als Christ, dass auch andere die Liebe Gottes erfahren. Darum wirken wir als Zeugen des Evangeliums auf Menschen ein, mit unseren Worten und durch unser Verhalten. Aber weil das Evangelium Impuls und Inhalt unseres Zeugnisses ist, haben wir Respekt vor jeder Person, auch wenn sie nicht glauben will. Andere zu bedrängen oder zu manipulieren, entspricht nicht dem Evangelium. Für Christen sind Mission und Respekt zwei Seiten einer Medaille. Dabei darf man aber nicht ins andere Extrem verfallen, dass man seinen Glauben gar nicht mehr bezeugt. Der Wunsch, dass Menschen sich für das Evangelium und für Jesus Christus entscheiden, und dementsprechend auch das zielgerichtete Wirken dahin, ist Teil des Christseins.
Elstal, 10.09.2020 Michael Kißkalt