14. Dezember 2024 | erlebt

Uta und Marcelo Abel – Transkulturelle Mission/ Ein Artikel von Harald Frey

Uta und Marcelo Abel – Transkulturelle Mission: Ein langer Weg vom paternalistischen Ansatz zur selbstbestimmten Gemeindeentwicklung indigener Gemeinden in Argentinien.

 

In den 1960er Jahre machte Marcelo Abel, Pastor einer Gemeinde in Escobar, Argentinien, ein Zusatzstudium am Theologischen Seminar in Hamburg-Horn. Er lernte Uta Radtke kennen, Gemeindekatechetin in der Gemeinde Hamburg-Altona. Sie heirateten und gingen 1971 nach Escobar in den Gemeindedienst. Drei Jahre folgten sie dem Ruf MASAs in den Missionsdienst in die Toba Region im Norden Argentiniens, zu den indigenen Völkern, den Toba und den Mocovi´.

Das Missionskonzept 1) war „paternalistisch“: Das Team bestand u.a. aus einem Arzt, einer Krankenschwester, einem Agro-Ingenieur und Marcelo und Uta als Pastorenehepaar. Kühe und Traktoren wurden für das landwirtschaftliche Projekt gekauft. Unsere Jugend sammelte Geld: „Kühe für die Toba“. Eine Kirche wurde gebaut, Toba-Kinder bekamen Schul – Stipendien, Bibelstudien wurden angeboten und es gab Nahrungsmittel-Pakete für die Gemeindemitglieder.
Die Gottesdienste und das Gemeindeleben wurden von dem Team geplant und finanziert. Niemand fragte die Toba, was sie wollten, sie waren weder an der Gestaltung noch an der Finanzierung beteiligt. Es gab keine Eigenverantwortung, keine „Ownership“.2)  Es war nicht „IHR“ Konzept. Sie konnten Jesus nicht auf ihre -eigene- Weise folgen.

Uta erzählte mir einmal: Wenn der Traktor merkwürdige Geräusche macht oder heiß läuft, reagieren sie nicht. Maschinen gehören nicht zu ihrer Kultur. Sie passen sich der Natur an. Bei Überschwemmungen gehen sie fischen und jagen, wenn das Land trocken gefallen ist, bauen sie ihre Pflanzen an. Unser landwirtschaftliches Projekt entsprach nicht ihrer Kultur. Marcelo entwickelte guten Kontakt zu den Indios, was nicht so einfach war. Er sprach nicht Toba-Qom, ihre Sprache, sondern „nur“ Spanisch. Nach dem Konzept der Missionsgesellschaft war das nicht nötig. Spanisch war und ist aber für viele Indigene immer noch die Sprache der Eroberer. 3)

Uta und Marcelo entschlossen sich 1981, das Team zu verlassen, um so zu missionieren, wie es der Kultur der Indigenen entsprach. Sie wollten Begleiter sein, sie wollten erst fragen und dann helfen. 4) In Mk 10, 51 fragt Jesus den blinden Bartimäus: „Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ Er nimmt ihn ernst. Das wollten Uta und Marcelo auch. Marcelo schrieb: Der Missionar ist ein Diener, (Doulos), nicht ein General. Jesus ist der Herr! 5)

Durch diese Entscheidung kam es nach einer Übergangszeit zu einer Trennung von MASA. Wir fragten uns in der Gemeinde Hamburg-Altona, ob wir das neue Konzept akzeptieren und sie weiterhin unterstützen sollten. Die Berichte, Protokolle und Konzepte füllen einige Ordner in unserem Gemeindearchiv. Ein Missionskreis begleitete die Entscheidung und die Arbeit in Argentinien über die Jahre.
Gemeinsam mit einigen Gemeinden, Einzelpersonen und der Nordost-Vereinigung in Argentinien kamen wir zu der Überzeugung, dass dies DAS Konzept war, das Jesu Auftrag entspricht. Die Gemeinde Hamburg-Altona begleitet Abels seit den 1970er Jahren mit Gebet, Kommunikation und finanziell. Damit war die Arbeit gesichert. Die sozialen Leistungen und Einzahlungen in die Rentenkasse fielen jedoch weg.

Die Familie zog nach Resistencia und Marcelo besuchte die indigenen Gemeinden. Seine Gemeinde gab ihm den Freiraum. Er predigte, wenn die Toba ihn aufforderten. Er studierte mit ihnen die Bibel auf ihre Weise: Sie saßen im Kreis, tranken Mate, hörten einander zu und beteten gemeinsam. Er begann ihre Kultur zu verstehen. Sie adoptierten ihn, nannten ihn „Guaynolek „, Brückenbauer. 6).

Marcelo erzählte mir einmal: Ein deutscher Baptist sagte mir: „Wenn im Gottesdienst getanzt wird, ist das für mich kein Gottesdienst“. Ein Toba sagte mir: Wenn ich im Gottesdienst nicht tanzen kann, ist das für mich kein Gottesdienst“. Und er fügte hinzu: „Das ist ein kultureller Aspekt, den ich respektieren muss.“ 4)
Marcelo war Leiter der Nord-Ost Vereinigung. Uta und er lernten von und mit Mennonitischen Missionaren, u.a. Ute und Frank Paul. 4) Sie trafen sich mit dem interdenominationalen Team zweimal im Jahr, beteten, fragten nach Gottes Willen, besprachen ihre Erfahrungen und lernten voneinander

Die Toba baten Marcelo oft zu vermitteln. Konflikte waren nicht ungewöhnlich, weil die Gemeinden oft mehrere starke Leiter aber keinen Pastor hatten. Als eine neutrale Person empfanden sie Marcelo als Boten Gottes, der ihnen zuhörte und sie respektierte. Er verbrachte bei diesen Besuchen oft viele Stunden, manchmal Tage, hörte zu, förderte den Dialog und half ihnen, eine Lösung zu finden.

Jonatán Lewis, gründete 1995 u.a. mit Uta und Marcelo das Centrum für Transkulturelle Mission, CCMT. Marcelo war acht Jahre der leitende Pastor. Weil viele Studenten nicht die formale Bildung hatten, die sie für die Studien am CCMT brauchten, gründeten Uta und Marcelo 2003 die Missionsschule für Kirchengründung, EMPI: La Escuela de Misiones y Plantación de Iglesias. Nach einem oder zwei Jahren EMPI besuchen nun viele das CCMT, einige gehen als Pastoren in ihre Gemeinden zurück. CCMT und EMPI unterliegen der Leitung der COMIBAM 7.
Marcelo war 2002 Leiter von Missiones Mondiales Argentinien, einer Missionsinitiative von COMIBAM. Seit 2008 arbeiten EMPI und CCMT auf einem Gelände, Campo Blancos (Weiße Felder, Joh.4,35) in Cordoba, Argentinien.

Ein Kern des Curriculums ist „Zeit mit den Menschen zu verbringen“. Die Studenten gehen für drei Monate in die Dörfer, leben mit den Menschen, lernen und arbeiten in den Gemeinden und helfen bei den Gemeindegründungen. Die Organisation von EMPI und CCMT ist pädagogisch-didaktisch und auch ökonomisch effektiv:
– Das Curriculum, der Lehrplan, wurde von Jonatán Lewis, Marcelo und Anderen  entwickelt. Es wird permanent evaluiert und weiterentwickelt.

– Das lokale Kollegium besteht aus wenigen Personen
– Viele der akademischen Dozentinnen und Dozenten kommen (oft) für eine Woche oder zwei, leben auf dem Campus und unterrichten ihre Fächer. Sie sind von ihren Kirchen, Universitäten und Institutionen angestellt und bezahlt.
Sie arbeiten für ein Honorar. Die Fahrtkosten werden erstattet
– Ein Feedback-System sorgt dafür, dass nur Dozenten (wieder) kommen, die effektiv  unterrichten und von den Studentinnen und Studenten akzeptiert werden.
– Die Studenten tragen ca. 50% der Kosten selbst. Sie haben zuhause, in ihren Kirchen und in ihrer Familie und ihrem Freundeskreis eine Gruppe, die sie unterstützt.

– Sie predigen in den Gemeinden der Umgebung, arbeiten in der Nachbarschaft, verkaufen z. B. Honig und verdienen so ihren Anteil an den Studienkosten:
Es ist nicht einfach für sie, die Kosten für EMPI und CCMT aufzubringen.

Marcelos Buch wurde 1998 veröffentlicht 1). Dr. Klaus Müller schreibt im Vorwort:

Marcelo legte großen Wert auf (span.) „autogestión“, was er mit „begleitete Selbstentwicklung“ (übersetzt) und meint damit, dass der Missionar Initiator einer einheimischen Gemeinde ist, der Hinweise gibt – die Anwendung jedoch ist Sache der Indianerchristen. Das Wort Gottes wird gelehrt und gepredigt, und durch die Hilfe des Heiligen Geistes wissen die Leute, wie es umzusetzen ist: Träume und Tänze spielen bei den Indianerchristen eine Rolle. Anbetung z.B. wird unter anderem durch Tanz ausgedrückt. In einer Gebetsstunde beten alle gleichzeitig. Charismatische Impulse mischen sich mit denen aus der mennonitischen Tradition. – Die unabhängigen Gemeinden sind der einzige Freiraum, in dem sich die Indianer ohne weiße Aufsicht entfalten können. 8)
In den vergangenen Jahren hat Marcelo die Leitung der Institutionen abgegeben. Er predigte in den umliegenden Gemeinden, sein tägliches Radioprogramm war in der Region sehr beliebt.
Am 10.12.2024 ist Marcelo zuhause verstorben. Uta ist bereits 2022 verstorben. Aber die Arbeit im CCMT und EMPI wird weiter geführt, so wie Marcelo seinen Auftrag sah.

Harald Frey, Christuskirche Hamburg-Altona, 10.12.2024

Fußnoten

1) S.12, Marcelo Abel: „Mi Experiencia Transcultural“, Deutscher Titel: Indianer unter dem Einfluss christlicher Mission – Erfahrungen eines Einheimischen., ISBN 3-933372-65-8, © 2002,  Verlag für Theologie und Religionswissenschaft, Gogolstr. 33, 90475
2)  https://quickonomics.com/terms/ownership; siehe  auch „Partizipation“; https://www.bmz.de/de/service/lexikon/ownership-14742
3) M. Abel, p.34
4) Grundlagen Transkultureller Mission: siehe Kap. 1 Transkulturelle Mission und  Kap. 2 Biblische Prinzipien und kulturelle Formen.
Inzwischen ist das Konzept auch offiziell akzeptiert: Zu dem Buch von  Ute und Frank Paul, Begleiten, nicht erobern, 2010,ISBN  978-3-937896-95-3, hat Sigfried Grossmann, ehem. Präsident unseres Bundes, das Vorwort geschrieben.
Das Konzept von Uta und Marcelo wird hier ausdrücklich gelobt und als das einzig richtige beschrieben.
5) M.Abel, p.26.
6) M.Abel, p.12
7)Beide Institutionen sind unter der Supervision von COMIBAM, 1985 in SaoPaulo gegründet.
La Cooperación Misionera Iberoamericana, Teil der weltweiten Evangelical Alliance.
Misión Mundial: propósito y plan de Dios, © 2013 por Jonathan P. Lewis. Todos los derechos    reservados. Impreso en Argentina. La presente es una coedición de Movida/CIMA, el Centro de Capacitación Misionera Transcultural (CCMT). Details siehe Online-Version der Festschrift zum 150sten Jubiläum der Gemeinde Hamburg-Altona, www.christuskirche.de,  und im   Archiv der Gemeinde,Bestand 08 Gemeindetexte, 08.07.00_Mission-Evangelisation
8) Marcelo Abel, S.9: Prof. Dr. Klaus W. Müller, Biebertal, im August 2002, Studienleiter der Akademie für Mission und Gemeindebau, Gießen